Vor einer Weile hatte unser Leser Arndt auf dieser Seite seinen schönen Jaguar X358 vorgestellt. Kurz nach Veröffentlichung des Artikels war er im Kurzurlaub in Spanien, was dazu führte, dass in seiner Garage nun ein weiterer Jaguar wohnt. Aber lassen wir ihn selbst berichten!
„¡Buenas tardes, gato viejo!
Einen längeren und durchgehenden Aufenthalt in heimischen Gefilden hält unsere Familie nicht aus – insbesondere nicht in den Wintermonaten. Im Februar 2022 war es mal wieder so weit: Das Wetter war schlecht, die Stimmung entsprechend, also ab in den Süden. Kurz überlegt, wo waren wir noch nicht, was ist schnell per Flugzeug erreichbar und wo gibt es Sonne bei 15-20 Grad und gutem Essen? Unsere Antwort lautete nach kurzer Internetrecherche: Costa Blanca.
Nach der Landung in Valencia sollte ein Restaurant unsere erste Station sein, das südlich der Stadt auf unserem Weg in Richtung Denia lag. Natürlich musste es anders kommen.
In einem unscheinbaren Industriegebiet erregte im Vorbeifahren nach Sonnenuntergang irgend etwas im Augenwinkel kurz meine Aufmerksamkeit. Das könnte glatt ein Jaguar XJ der Serie 3 gewesen sein. Davon hatte ich vor Jahren schon zwei besessen. Diese Fahrzeuge gehören, von Pininfarina verfeinert, für mich zu den schönsten Autos der Welt!
Kurz schauen kann man ja mal, ist sicher wieder so ein abgerittenes Ding. Da kann man mit dem Segen der Familie guten Gewissens mal schnell anhalten, es dauert ja nur 5 Minuten.
„Habt Ihr Hunger?“ „Ja!“ „Habt Ihr viel Hunger?“ „Ja!!“ „Hmmm, wenn ich ganz kurz anhalten darf, gibt’s nachher ein Dessert nach Wahl.“ „Muss das sein?“ „Meinst Du das Dessert oder den Zwischenstop?“
Inzwischen war der Mietwagen geparkt, der Showroom betreten und das Gemurre meiner Strategen recht groß. Es handelte sich um einen 08/15-Gebrauchtwagenhändler, bei dem zwischen einem Porsche Panamera und einem Fiat 500 so ziemlich alles erwerbbar war. Immerhin aber mit großer und gut beleuchteter Halle, nichts mit Fähnchen und Kiesplatz. Und ich hatte richtig gesehen, dort stand in der Tat ein Jaguar XJ6 4.2 Sovereign der dritten Serie in Rhodium Silver.
Und nach einem ersten Rundgang (warum sieht der so gut aus?) lud mich Arturo, der vertrauensvolle Verkäufer und ein wirklich netter Kerl, dazu ein, einen Blick auf den Kilometerzähler zu werfen. Der stand auf sage und schreibe 29.451 km!
Na klar, die Spanier. Oder?
Weit gefehlt. Gemäß Sichtung der lückenlosen Historie, des Scheckheftes und aller anderen relevanten Unterlagen wie TÜV (bzw. ITV)-Berichten, Werkstattrechnungen und anderer Nachweise, bestellte Vicente Alcaide, ein Architekt aus Valencia, den Wagen. Der XJ6 wurde ihm am 30.07.1985 ausgeliefert.
Er fuhr mit dem Jaguar bis zum 26.03.1993 jeden Tag die kurze Strecke zwischen Wohnung und Architekturbüro. Als Jaguar die Serie 3 im Jahr 1993 endgültig einstellte, entschied Vicente, den Wagen bei km-Stand 27.164 abzumelden und einzulagern. Er wollte sicher gehen, noch eines der letzten Fahrzeuge aus echter Jaguar-Regie besitzen und eines Tages im Ruhestand fahren zu können.
Dabei blieb es dann für sage und schreibe 25 Jahre. Ab und an gab es kleine Bewegungsfahrten, offenbar mit dem spanischen Pendent zu einer roten Nummer und auch TÜV / ITV wurde bemüht, das war’s dann aber auch schon. Der Kilometerstand war also lückenlos dokumentiert und beweisbar.
Im Februar 2019 wurde dem Vernehmen nach Platz benötigt und der Wagen an einen befreundeten Rechtsanwalt verkauft. Dieser hatte allerdings wohl den Aufwand unterschätzt, den Jaguar nach 25 Jahren fachgerecht zum Leben zu erwecken. Das übernahm dann der Händler, in dessen Showroom der Jaguar nun stand, mit seinen schraubenden Kooperationspartnern.
Allgemeiner Lebenserfahrung folgend habe ich auf Reisen immer mein Survival Kit bestehend aus Taschenlampe, Magnet und Lackschichtenmesser dabei. Ein mit der Unterstützung meiner Söhne durchgeführter Check ergab keinerlei Auffälligkeiten. Mehr als das: Es funktionierte fast alles, von den Fensterhebern bis hin zur (gemeinhin nicht ganz unproblematischen) Klimaanlage.
Sogar der von Jaguar im Jahr 1985 noch immer verwendete thermoplastische Lack präsentierte sich nahezu riss- und blasenfrei. Und von Rost wollen wir im sonnigen Spanien gar nicht sprechen; nicht ein Bläschen war zu sehen, nicht einmal Flugrost am Unterboden.
So eine Geschichte passt dann doch in meine Sammlung, aber eine eiserne Regel für mich als Sammler lautet, keine Fahrzeuge ohne Schiebedach zu kaufen. Also vielen Dank und schönes Leben noch?
Man kann ihn trotzdem mal Probe fahren, schadet ja nichts.
Arturo grinste vielsagend, gab mir den Schlüssel, und ab ging’s mit der Familie auf eine halbstündige Runde, die ich dem Leser insgesamt nur als „Neuwagenerlebnis“ spiegeln kann. Vom Fahrwerk bis zum Blinkerhebel war alles straff. Und den Hebel für die Scheibenwischer braucht in Valencia sowieso keiner.
Gab es denn wirklich nichts zu beanstanden?
Natürlich, das Auto ist immerhin 37 Jahre alt. Der Jaguar zog fast unmerklich nach rechts und war etwas lauter als er sollte, zudem hing der Dachhimmel („Jaguar-Klassiker“) und die Antenne des 1985er Panasonic-Radios wollte nicht mehr so ausfahren, wie es mal vorgesehen war.
Nun ja, die Spanier essen sowieso viel später als wir. Also wurde das Auto nach kurzen Verhandlungen mit der Vorstandsvorsitzenden („Kauf den in Gottes Namen und verkauf‘ halt was anderes“) gekauft und angezahlt. Wenn sich im Rahmen dieses Deals jemand dazu berufen fühlt, mir für den X358, über den ich an anderer Stelle auf dieser Seite berichtet habe, ein Angebot zu machen, dann möge er mich kontaktieren. Mal schauen, ob das so reicht …
Nach unserem Wochenendtrip habe ich dann die Spedition, die unser Auto auf Mallorca dorthin gebracht hat, dazu überredet, einen Schlenker über Valencia zu machen und den Wagen nach Ankunft in die Werkstatt meines Vertrauens gestellt.
Rolf, „Oldschool-Mechaniker“ meines Vertrauens, der alle meine alten Autos betreut, hat ihn einmal komplett durchgeschraubt, ein Rohr der Abgasanlage ersetzt, die Traggelenke an der Lenkung ersetzt, den Wagen vermessen sowie Vollabnahme und H-Kennzeichen organisiert. Ein Satz neuer Reifen wurde dem Wagen auch noch spendiert. Alles in allem ein überschaubarer Aufwand für diese wunderschöne Katze. Und dann habe ich ihn erst einmal intensiv mit Swissvax gepflegt, so wie ich das mit allen Neuankömmlingen gerne mache.
Was kommt jetzt? Nun, wenn wir in den Sommerferien sind, wird sicherlich der Dachhimmel noch erledigt, das ich bin ich der alten Mieze aufgrund der Verpflanzung nach Deutschland ganz sicher schuldig.
Ob ich das Auto behalte? Offen gestanden weiß ich das noch nicht. Für unmoralische Angebote im Automobilsektor bin ich ja immer in beiden Richtungen empfänglich. Hier war es zunächst einmal das Jäger- und Sammler-Gen, was seinen Tribut forderte.
Und im Leben muss ja gottseidank auch nicht alles Sinn machen, sondern in erster Linie Freude.
Und davon bereitet der fast taufrische 1985er Jaguar XJ 6 4.2 aus dem sonnigen Valencia reichlich!“