Bekanntermaßen freue ich mich sehr über Erfahrungsberichte von Lesern dieser Seite. Es ist schließlich interessant, wie andere „Leidensgenossen“ den Weg zu ihrem Youngtimer gefunden haben. Mit dieser kurzen Vorrede gebe ich das Wort jetzt an Elmar. Er hat sich in den vergangenen Monaten erfolgreich auf die Suche nach einem besonders schönen Mercedes SL der Baureihe R129 begeben und berichtet hier von seinen Erlebnissen…
>>Nachdem ich vor nicht allzu langer Zeit meinen ersten Youngtimer erworben hatte – eine 1995er Fiat Barchetta – kann ich mich schon heute der Lehre von Michael anschließen: „Der erste Youngtimer ist nicht der letzte“ (Youngtimer-Kaufberatung, Teil 1: Vor der Suche – welcher Klassiker aus den 90ern ist der richtige für mich? – x308.net). Die Barchetta ist zweifelsfrei hübsch anzusehen, wird ohne jeden Sozialneid positiv wahrgenommen, und man erhält manch freundliche Ansprache und den einen oder anderen hochstreckten Daumen.
Nun kann man sich eine offene Beziehung mit einer 28-jährigen Italienerin wünschen, sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass man eine laute, etwas rotzige Diva bekommen kann (rostig war sie nicht). Sie ist ständig brüllend, knisternd, klapprig, windig. Nach langen Touren hat man ein Pfeifen in den Ohren. Kurzum, das kleine Boot ist so etwas wie der fahrende Imperfekt.
Für eine Dauerbeziehung schien mir das doch etwas anstrengend, und schon seit einiger Zeit fiel mein Blick immer wieder auf etwas deutlich „Ingenieurmäßigeres“: Ein Mercedes SL der Baureihe R 129 vielleicht…?
Der erste besichtigte Kandidat war eigentlich schon der Richtige
Ich lauerte also hier und dort bei mobile.de und fing an, mir ein Bild vom Markt zu machen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Fahrzeuge zu welchem Preis wohl angemessen sein könnten.
Im Mai – meine Frau und ich waren gerade in Frankreich im Urlaub – zeigte sich ein Kandidat, der ziemlich ideal dastand: Ein 300 SL-24 von 1992 aus erster Hand mit nur 46.000 km auf der Uhr. Mit 5-Gang-Automatik, Klimaanlage und Karo-Stoffpolstern! Ein Träumchen. Er gehörte einem 92-jährigen Herrn aus Bad Homburg, der in Sachen Verkaufsinserat von seinem Schwiegersohn betreut wurde. Die Kommunikation baute zusätzliches Vertrauen auf, so dass ich mich gleich am Samstag nach dem Urlaub auf den Weg machte nach Bad Homburg.
Im Taunus erwarteten mich der alte Herr, sein Schwiegersohn und der Mercedes SL. Das Auto stand ein bisschen eingestaubt in einem größeren Schuppen, an dessen Decke auch eine Seilvorrichtung befestigt war, die das Hardtop hielt und es bei Bedarf auf das Auto absenken konnte. Alles große Klasse. Der original Werkzeugsatz war noch eingeschweißt im Fahrzeug, die Kopfstützen hatten kleine weiße Schonbezüge und waren bestimmt noch nie mit eines Menschen Haupt in Kontakt geraten. Die Dokumentenlage war vollkommen lückenlos: Vom Original-Kaufvertrag über 122.000 DM bis zum letzten TÜV-Bericht war in einem großen Mercedes-Benz-Ordner alles vorhanden.
Dann holte der alte Herr das Auto aus dem Schuppen auf den Hof, und ich dachte schon „Ui-ui-ui, wenn das mal gut geht!“ Der Blick unter alle Hauben zeigte keine Überraschungen, der letzte Ölwechsel war 2014. Seitdem wurde das Auto nur 1.500 km bewegt. Wir gingen also auf Probefahrt, der Schwiegersohn des Verkäufers und ich:
Am Ende des Tages war klar: Das ist schon ziemlich perfekt. Da müssten neue Betriebsflüssigkeiten rein und das Auto müsste neu eingefahren werden, um es aus dem Dornröschenschlaf aufzuwecken. Einen wirklichen Marktpreis kann man kaum festmachen, da es solche SL aus erster Hand mit nachweisbar geringer Laufleistung kaum mehr gibt. – Wir wurden uns bei 29.000 Euro handelseinig, was mir insgesamt (auch heute noch) nicht zu teuer vorkommt für das Gebotene. Wir haben also gleich nach Besichtigung und Probefahrt den Vertrag gemacht. Samstag war‘s.
Das traurige Ende des ersten Kandidaten
Montag war‘s, und der Schwiegersohn des Verkäufers rief an und sprach: Nun ja, der alte Herr hätte – nachdem ich Bad Homburg mit Vertrag in der Tasche verlassen habe – versucht, das Fahrzeug in den Schuppen zurück zu setzen, und es sei ja zum Glück auch niemand körperlich zu Schaden gekommen, aber der alte Herr hätte doch Gas und Bremse verwechselt und den Mercedes einer gewissen Kaltverformung unterzogen. Er würde mir jetzt ein paar Fotos schicken…
Mir standen die Tränen in den Augen, dem alten Herren in Bad Homburg wahrscheinlich auch. Es wurden noch Optionen durchdacht, wie z.B. dass ich das Auto, so wie es ist, zu einem deutlich reduzierten Preis übernehme, aber ich hatte keine Lust auf eine solche Baustelle, zumal ich nicht gut beurteilen kann, ob der Schaden überhaupt vollständig repariert werden kann. Schließlich ist das Auto zerknautscht bis zur Verdeckwanne, und ich kann nicht ansatzweise beurteilen, ob das funktionale Konsequenzen hat. Außerdem lohnt sich so ein Projekt eigentlich nur, wenn man selbst basteln kann und möchte und den Platz und die Zeit dafür hat.
Am Ende haben wir den Vertrag zerrissen, weil der Kaufgegenstand nicht mehr verfügbar war. Außer einer 500 km-Tour nach Bad Homburg und zurück war mir ja kein materieller Schaden entstanden. Aber schade ist es bis heute.
Weiterschauen auf dem Markt und Kandidat Nr. 2
Ich tat mich also weiter um auf dem Markt und werde mich jetzt nicht in Details versteigen. Im Überblick interessant ist vor allem, dass der Markt für Autos dieses Alters und dieser Klasse offensichtlich recht heterogen ist: Man findet sowohl deklarierte als auch verschwiegene Importe aus Japan und Italien, unter anderem erkennbar an den Seitenblinkern in den vorderen Kotflügeln. Es gibt Vor-MOPF Modelle, deren Kühlergrill sechs Zierstäbe hat, wo es doch sieben sein sollten, und Fragen nach dem Warum werden nicht beantwortet. – Aber warten wir’s ab, auch derjenige SL, der zum Schluss meiner werden sollte, hat sein Geheimnis.
Gar nicht so selten sind offensichtlich getauschte Hauptinstrumente. Da sitzen Digitalanzeigen im Kilometerzähler, wo eigentlich analoge Rollenanzeigen sein sollten, und das Inserat erklärt dazu nichts.
Nur die Stoffpolster mit dem hübschen Karo taugen in der Praxis nicht als Auswahlkriterium. Die Menge der verfügbaren Fahrzeuge mit Stoffpolstern ist sehr klein, und was da feilgeboten wird, ist oft überteuert – siehe folgendes Beispiel, das auch schon seit Langem inseriert ist:
Das Karopolster hatte ich also inzwischen von der Liste der Suchkriterien gestrichen und war bereit, auch die ganz klassische Kombination (silber, schwarzes Dach, schwarzes Leder) in Betracht zu ziehen.
Einen zweiten Kandidaten hatte ich mir in Sindelfingen angeschaut. Immerhin konnte ich dabei die Erfahrung machen, dass man Mönchengladbach–Sindelfingen und zurück mit dem Zug ohne jede Verspätung absolvieren kann, wenn’s läuft. Der sindelfinger Kandidat war mir am Ende vom Preis-Leistungsverhältnis doch nicht ansprechend genug (23.000 Euro bei 147.000 km, später sogar vom Verkäufer noch einmal hochgesetzt auf 25.500 Euro), zumal gleichzeitig in Düsseldorf Kandidat Nummer 3 auftauchte.
Der Dritte wurde es dann
Der dritte Kandidat war überhaupt nicht lange inseriert, und er war gleich in der Nachbarschaft anzuschauen. Ein Manager aus Düsseldorf wollte sich beruflich ins Ausland orientieren und war deswegen dabei, sein Haus und drei von sechs Autos aus seiner Sammlung zu verkaufen. Der Verkäufer hatte sich somit vier Verkaufsabschlüsse vorgenommen und ging daher – gemessen an Zustand und Laufleistung – mit einer eher moderaten Preisvorstellung ins Rennen:
Das Auto war nicht erste Hand, aber seit 22 Jahren im Besitz des Verkäufers, der auch einen Ordner mit allen Dokumenten, Reparaturen und Anschaffungen innerhalb dieses Zeitraums angelegt hatte. Hier stimmte die Story, und die Chemie zwischen Verkäufer und mir stimmte gleich auch, so dass wir uns nach der Probefahrt einig wurden.
Auch dieses Auto hat – bei aller Transparenz und guten Dokumentenlage – noch ein ungeklärtes Geheimnis (siehe unten), aber gekauft habe ich es trotzdem.
Es stellte sich auch heraus, dass das Auto leichte Warmstartprobleme hat. Der Verkäufer war nach meiner Probefahrt selbst davon überrascht, als der das Auto zurückfahren wollte in die Tiefgarage (ich selbst war nicht dabei). Er hat mit proaktiv davon berichtet und sogar angeboten, sich an eventuellen Reparaturkosten zu beteiligen. Es bleibt im Moment noch zu erforschen, woran es liegt und wie wir da weiter vorgehen. Auch eine Tankfüllung mit frischem Sommerbenzin hat das Symptom nicht verschwinden lassen.
Aber sonst – es fährt geschmeidig, laufruhig, gleitend mit schönem, drehwilligen Sechszylinder.
Und das ominöse Geheimnis? Was soll es denn nun sein? – Werfen wir einen Blick in den Innenraum: Da gibt es auf der Mittelkonsole zwei Kippschalter hinter der Wählhebelkulisse, deren linker Schalter auch noch erkennbar schlecht eingepasst ist. Das ist hineingebastelt, ganz offensichtlich:
Die Kippschalter waren schon in der Verkaufsanzeige zu sehen, und ich habe den Verkäufer darauf angesprochen. Er schwört, die Schalter seien vor 22 Jahren schon drin gewesen, und er hätte keine Vorstellung von deren Funktion.
Soll man das dann trotzdem kaufen? Ich hab’s ja nun getan. Die Schalter bewirken original nichts. Sie standen offensichtlich auch dem H-Kennzeichen nicht im Weg. Es sind keine Selbstzerstörungsknöpfe; es öffnet sich keine Falltür, wenn man darauf drückt. Außer dass der linke Schalter, der ohnehin etwas haltlos wirkte, nach dem Draufdrücken noch etwas schiefer in seinem Ausschnitt sitzt.
Wenn es mich dann doch stört, dann könnte es darauf hinauslaufen, dass ich die nächsten Jahre im Netz nach einer passenden Wurzelholz-Konsole suche (mit den richtigen Ausschnitten an den richtigen Stellen), dafür einen dreistelligen Betrag ausgebe und das Ganze umbauen lasse. Das könnte passieren, so wie ich mich kenne.
Aber so ist es mit einem über 30-jährigen Auto: Du kaufst ein Individuum, kein Serienprodukt.
An dieser Stelle erst einmal mein Dank an Michael von youngtimer-preise.de / x308.net und an meinen langjährigen Freund Klaus. Beide haben den Kaufprozess mit begleitet, gechattet und hoffentlich ihren Spaß daran gehabt. Ich fühlte mich jedenfalls mental bestens unterstützt.
Wenn’s gefallen hat, berichte ich an dieser Stelle ein anderes Mal gern weiter. Eure Kommentare sind unten willkommen. Vielleicht kennt jemand die geheimnisvollen Kippschalter auf der Mittelkonsole? Vielleicht hat jemand eine Idee, warum ein 300 SL-24 warm schonmal schlecht anspringt?<<
Jetzt erst einmal herzliche Grüße vom Niederrhein – Elmar
Toller Bericht.
Das mit dem Blauen hätte mich zu Tode geärgert.
Die Suche nach einem 129 habe ich dieses Jahr beendet.
Es wurde ein 1997 Jaguar XJ X300 4.0 in der entzückenden Farbe Jade-green.
Aber bezüglich SL: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. 😉