Im April 2021 hatte ich in diesem Beitrag bereits darüber berichtet, dass ein Mercedes 300 SL-24 zu unserer Familie dazugestoßen ist. Nach den ersten 6 Monaten möchte ich nun etwas mehr über dieses interessante R129-Modell berichten. Der 300 SL-24 wartet tatsächlich mit ein paar Besonderheiten auf – man könnte sagen, er ist der Athlet in der R129-Modellfamilie…
Wer sich mit dem R129 beschäftigt, stellt fest, dass er bei seiner Neuerscheinung im Jahr 1989 ein echter „Paukenschlag“ war. Der R129 war technologisch wegweisend und rückblickend vielleicht der Höhepunkt der Automobilqualität bei Mercedes-Benz. Automatischer Überrollbügel, Integralsitze, Vierventil-Motoren, adaptives Dämpfungssystem und viele Neuerungen mehr hielten mit dem R129 Einzug. Alleine der vollautomatische Verdeckmechanismus sorgte seinerzeit immer wieder für kleinere Menschenaufläufe. Das hydraulische System war technisch eine Meisterleistung. Es verfügt über 15 Druckzylinder, 11 Magnetventile und 17 Endschalter. Die Hydraulikpumpe liefert einen Betriebsdruck von 180 bar!
Wer mehr über die Innovationen des R129 wissen möchte: Auf dieser Seite lässt sich die damalige R129-Produktinformation für den Mercedes-Vertrieb einsehen. Ein interessantes Stück Zeitgeschichte, wenn man sich für den R129 interessiert!
Zum Charakter des 300 SL-24
Zum Modellstart 1989 waren drei Motorvarianten erhältlich: Der damals schon bekannte 3-Liter-Sechszylinder (M103) im 300 SL mit 190 PS; der brandneue 5-Liter-Achtzylinder (M119) im 500 SL mit 326 PS; sowie der ebenfalls neue 3-Liter-Sechszylinder mit 24 Ventilen (M 104) im 300 SL-24 mit 231 PS, der hier im Mittelpunkt steht.
So stellte sich das Angebot der ersten Generation des R129 damals in der Preisliste dar:
In der Ausgabe 21/1989 hat die auto motor und sport diese drei Modelle einem Vergleichstest unterzogen.
Zum 300 SL-24 findet sich das folgende Statement: „Er hängt sehr gut am Gas und dreht mit einer beispielhaften Mühelosigkeit hoch, ab 4.000/min mit einem zunehmend kräftigen Auspuffsound, der den Spaß am offenen Fahren vorteilhaft unterstützt. Er bietet zwar nicht viel mehr Drehmoment als der Zweiventiler (300 SL), ist aber im oberen Drehzahlbereich zwischen 5.000 und 7.000/min deutlich stärker.“ Der klassische Zweiventiler im 300 SL läuft dagegen etwas kultivierter als das vierventilige Pendant: Das Geräusch im 300 SL beschränkt sich auch bei hohen Drehzahlen auf ein zurückhaltendes Summen – anders als die kernige Aussprache des 300 SL-24.
Nochmal aus der auto motor und sport: „Die 10.000 Mark, die der 300 SL-24 mehr kostet als der 300 SL, bedeuten jedenfalls Vorteile hauptsächlich im emotionalen Bereich; es lohnt sich, sie auszugeben für das sportlichere Fahrgefühl, aber kaum, um letztendlich einen Hauch besser beschleunigen zu können“ (auto motor und sport 21/1998, S. 44f.).
Dementsprechend stellten sich die damaligen Messwerte der beiden Sechszylinder-SL ähnlich dar:
Beim 300 SL-24 deutet schon die Drehzahlgrenze von 7.000/min an, dass er wohl die sportlichste Motorisierung darstellt. Er hat damit nicht nur die höchste Maximaldrehzahl aller R129, er ist auch der einzige R129, der – bei Wahl der Handschaltung – mit dem Getrag-Sportgetriebe ausgeliefert wurde, bei dem der erste Gang links hinten liegt. Der 300 SL-24 erinnert damit insgesamt am meisten an die Sportwagen-Tradition des legendären 300 SL!
„Das beste Preis-/ Leistungsverhältnis findet der Käufer beim 300 SL, das sportlichste Auto ist der 300 SL-24. Der 500 SL ist reiner Luxus.“
auto motor und sport 21/1989
Eine lange Lebensdauer in der Mercedes-Modellpalette war dem 300 SL-24 aber nicht vergönnt: Er wurde nur von 1989 bis 1993 produziert, dann kamen die weiterentwickelten Vierventilmotoren im SL 280 und SL 320 auf den Markt. In diesen vier Jahren wurden gemäß Wikipedia aber immerhin rund 27.000 300 SL-24 für den Weltmarkt produziert – mehr als doppelt so viele Fahrzeuge wie vom 300 SL im selben Zeitraum (rund 12.000 Fahrzeuge).
Der sportliche Charakter des 24V traf ganz offensichtlich den Nerv der Käufer!
Die technischen Besonderheiten
Der 300 SL-24 war bei seiner Einführung 1989 der erste Mercedes-Sechszylinder mit einem Vierventil-Motor überhaupt. Der seit Mitte der 1980er bekannte Dreiliter-Sechszylinder wurde dazu grundlegend überarbeitet und bekam einen Vierventilzylinderkopf, in dem die zwei Einlass- und Auslassventile in einem Winkel von 50° gegenüberliegend angeordnet sind. Die Ventilsteuerung mit variablen Ventil-Steuerzeiten wird durch zwei obenliegende Nockenwellen übernommen. Die Steuerzeiten der Einlassnockenwellen werden mithilfe eines hydraulischen Stellglieds in Abhängigkeit von Drehzahl und Drehmoment variiert. Durch diese variable Nockenwellenverstellung ist der Vierundzwanzigventiler dem Basismodell 300 SL in der Beschleunigungselastizität durchaus merklich überlegen, wie die Tabelle mit Messwerten weiter oben im Artikel zeigt.
Wer tiefer in die Details der Entwicklung des M104 einsteigen möchte, kann dies mit diesem hochinteressanten Artikel aus der Motortechnischen Zeitschrift von 1998 tun:
Entstanden ist ein Aggregat, dessen Stärken trotz variabler Ventilsteuerung aber weniger im Durchzugsvermögen bei niedrigen Drehzahlen, sondern recht klar im oberen Drehzahlbereich liegen. Dieser Charakteristik hat Mercedes-Benz auch mit der Getriebeübersetzung Rechnung getragen, wie die nachfolgende Tabelle am Beispiel der 4-Gang-Automatik zeigt.
Die 4 Gänge im Automatikgetriebe waren zwar bei allen drei Modellvarianten gleich übersetzt. Die Hinterachsübersetzung sorgt aber dafür, dass der 300 SL-24 insgesamt die kürzeste Übersetzung von allen drei Modellen fährt. Das ist bemerkenswert – der 300 SL-24 war also kürzer übersetzt als der schwächere 300 SL! Ein klares Indiz seiner Positionierung als sportliche Alternative zum 300er!
Im höchsten Gang der Viergang-Automatik werden auf der Autobahn die 5.000/min schon vor 180 km/h erreicht – in Kombination mit der kernigen Akkustik im oberen Drehzahlbereich vermittelt das in der Tat ein sportliches Fahrgefühl!
Gegenüber dem deutlich stärkeren 500 SL hat der 300 SL-24 den Vorteil, dass der Motor rund 100 Kilogramm leichter ist als der V8. Man sagt dem 300 SL-24 nach, dass ihn diese Gewichtsersparnis auf der Vorderachse bei schneller Kurvenfahrt merklich leichtfüßiger erscheinen lässt.
Als grundsätzlicher Nachteil des 24V-Aggregats im 300 SL-24 gilt hingegen, dass dieser Motor überproportional häufig zum Versagen der Zylinderkopfdichtung neigt. Allgemein wird dies dem Umstand zugeschrieben, dass die Materialpaarung aus Aluminiumkopf mit Motorblock aus Stahl die Dichtung thermisch stärker fordert (Stichwort „Kopfverzug“). Daher wird sorgfältiges Warmfahren und, nach schnellerer Fahrt, auch wieder „Kaltfahren“ für diesen Motor sehr empfohlen.
Vorstellung unseres 300 SL-24
Meinen ersten R129 (ein 1993er 500 SL) hatte ich im Jahr 2020 verkauft (hier ein Link zum damaligen Beitrag), um der Kinder halber auf die Suche nach einem viersitzigen Youngtimer an seiner Stelle zu gehen. Aber im Grundsatz war ich vom R129 sehr angetan – ein klassischer Mercedes mit starkem Design und gutem Fahrverhalten, auch noch nach heutigen Maßstäben.
Und während ich „eigentlich“ auf der Suche nach einem BMW E32 war, fiel mir „zufällig“ ein Inserat zu einem 300 SL-24 ins Auge. Attraktive Farbkombination (dazu später mehr), Standort bei Recklinghausen, unter 50.000 km Laufleistung (!) mit plausibler, voll dokumentierter Historie. Das Inserat wurde Samstags eingestellt, am Sonntagnachmittag war ich nach einem Telefonat mit dem Verkäufer zum Besuchstermin vor Ort. Nach Probefahrt und intensiver Preisverhandlung sind wir uns einig geworden.
Am 13. April 2021 war es soweit: Ein guter Freund brachte mich stilistisch passend mit seinem 1989er 500 SL nach Herten, um den 300 SL-24 abzuholen. Mit einem Kilometerstand von 49.813 km im silbernen SL trat ich die Heimfahrt an.
Der erste Eindruck war dominiert vom guten Zustand: Das Auto fährt richtig gut, viel straffer und frischer als mein vorheriger 500 SL (der zugegebenermaßen auch schon über 120.000 km Laufleistung und einen weniger guten Pflegezustand zu verzeichnen hatte).
Nun zum Herzstück des 300 SL-24, zum Motor: Ich bin nach den ersten Monaten zu einem echten Fan dieses Antriebs geworden. Hervorzuheben ist besonders seine Akkustik: Dumpf-sonor bei niedrigen Drehzahlen bis ca. 2.000/min; kernig, aber sehr vibrationsarm mit zunehmender Drehzahl und ein merklich frischer Wind ab 4.0000/min bis zur Drehzahlgrenze. Ungewöhnlich für einen Mercedes ist in der Tat die Charakteristik, dass der Motor Drehzahl braucht, um sein Potenzial zu entfalten. Was bei Alfa oder BMW erwartet wird, war bei Mercedes eigentlich nie Usus. Das macht aber im SL, finde ich, einen spezifischen Reiz aus.
Den enormen Schub des 500 SL bietet der 300 SL-24 hingegen nicht. Derart beeindruckende Beschleunigungswerte sollte man vom 300 SL-24 nicht erwarten, um mit ihm glücklich zu werden. Aber Spaß macht der Antrieb dennoch!
Außer dem Motor hat mich die Farbkombination dieses SL sehr gereizt: Lackierung in klassischem Brillantsilber (744) mit Stoffsitzen in sportlichem Stoff karo schwarz. (Auch wenn die karierten Stoffsitze serienmäßig waren, trifft man sie im R129 vglw. selten an.) Aus meiner Sicht steht dem R129 diese Kombination ausgesprochen gut, insbesondere im Erhaltungszustand dieses Exemplars.
Der Innenraum ist ansonsten gut erhalten, aber ohne besondere Auffälligkeiten. Das nicht originale Philips-Radio mit Wurzelnuß-Optik muss noch einem Becker Europa weichen, wie es auch im Originalzustand meines SL verbaut war.
Die Ausstattung unseres Exemplars bietet eher wenig Auffälligkeiten: Die Liste der Sonderausstattungen umfasst im Wesentlichen die 4-Gang-Automatik, die Metallic-Lackierung, den Airbag für Fahrer und Beifahrer, die Klimaautomatik, eine Alarmanlage, den Tempomat, das Windschott und ein Radio Becker Europa (wobei letzteres fehlt, das kommt wie gesagt noch). Dinge wie die 15-Loch-Leichtmetallfelgen („Gullideckel“) oder die elektrische Sitzverstellung waren ja damals schon Serie.
Was fehlt ihm? Nun ja, die meisten R129 verfügen über eine Sitzheizung, die unserem Exemplar fehlt. Bei Stoffsitzen finde ich das aber nicht dramatisch. Und vor dem Hintergrund der kurzen Übersetzung wären die rund 1.400 DM mehr für die 5-Gang-Automatik anstelle des 4-Gang-Automaten gut investiert gewesen, aber auch damit kann ich leben. Ich nutze das Fahrzeug eigentlich nicht für lange Autobahn-Etappen…
Die ersten „Reparaturen“ bestanden im Austausch der verbogenen elektrischen Stabantenne gegen ein neues Exemplar (siehe Bericht hier) sowie in einer farblichen Auffrischung des verkratzten Lederlenkrads (siehe Bericht hier). Echte Mängel habe ich auf den ersten 1.000 Kilometern glücklicherweise keine feststellen können. Ich bin mir aber bewusst, dass es bei einem 30 Jahre alten Auto immer etwas zu tun geben wird. Ich werde berichten!
Und weil es (bzw. er) so schön ist, schließe ich den Beitrag noch mit einigen fotografischen Impressionen unseres 300 SL-24 (Click auf das Bild öffnet vergrößerte Ansicht):
Ich freue mich über weitere Meinungen und Erfahrungen zum 300 SL-24 in den Kommentaren unter dieser Seite!
Update im Februar 2022:Der SL hat erfolgreich sein H-Kennzeichen bekommen. In diesem Beitrag findet sich mein Erfahrungsbericht dazu!
Update im April 2023: Das Geheimnis um das Lenkrad ist gelüftet. Der SL hat nun ein neues, passendes Lenkrad bekommen! Hier findet sich mein Beitrag zu dieser Geschichte.
Update im Juni 2023: Der SL hat nun wieder ein klassisches Becker-Radio. In diesem Beitrag findet sich mein Bericht dazu..
Ich besitze ebenfalls einen Mercedes 300SL-24 im absolut unfallfreien und originallackierten Zustand. Es handelt sich wohl um das beste Auto, welches ich jemals besessen habe. Kein Porsche, Ferrari, BMW welchen ich auch gefahren bin, kann dem Benz das Wasser reichen.
Der Motor wird immer wieder in den Foren schlecht gemacht – wahrscheinlich von jenen, die niemals einen R129 besessen haben.
Mit zunehmender Drehzahl wird das Fahrzeug richtig agil. Der Fahrkomfort für ein 30 jähriges Auto mit knapp 130.000 Kilometern am Tacho ist absolut top. Verbrauch liegt zwischen 9 und 12 Litern Super 95 Kraftstoff.
Die Verarbeitung von Blechen, Leder, Wurzelholz und Kunststoffen ist einzigartig.
Wenn das Fahrzeug gewaschen und aufbereitet ist, steht es nahezu wie ein Neuwagen da.
Einziges Problem stellen die Ersatzteilpreise dar, welche in den letzten Jahren wirklich drastisch angezogen haben.
Abschließend sei vermerkt, dass die Qualität eines klassischen Mercedes Benz sich erst weit über 100.000 bis 150.000 Kilometer bemerkbar macht – nämlich dann, wenn andere Fahrzeuge bereits erste massive Verschleißerscheinungen zeigen.
Fahre selbst den 300SL-24V und kann dem nur Zustimmen.
MfG.Knut