Reimportierte Youngtimer der 1990er Jahre aus Japan sind auf dem deutschen Markt beliebt. Dank Linkslenker-Ausstattung scheinen sie auch praktisch identisch zu Fahrzeugen deutscher Spezifikation zu sein. Aber ist das wirklich so? Oder gab es ab Werk doch größere Unterschiede zwischen japanischen und deutschen Fahrzeugen? Wer mit einem Youngtimer aus Japan liebäugelt, sollte sich mit dieser Frage beschäftigen, denn ganz identisch sind die Fahrzeuge in der Tat nicht gewesen.
Warum gab es werksseitige Unterschiede zwischen japanischen und europäischen Fahrzeugen?
Eines vorab: Eine Mercedes S-Klasse der Baureihe W126 wurde grundsätzlich in Sindelfingen produziert, und alle Jaguar XJ8 wurden in Coventry produziert. Wenn auf dem Gebrauchtwagenmarkt bei einem solchen Fahrzeug von einem „Japaner“ gesprochen wird, dann ist damit lediglich ein Fahrzeug japanischer Spezifikation gemeint; ein Auto also, das im Werk Sindelfingen oder im Werk Coventry gezielt für den japanischen Markt produziert wurde. Jedes Fahrzeug hat deshalb zum Zeitpunkt der Produktion einen sog. „Länder-Code“, mit dem eine Reihe von spezifischen Unterschieden einhergeht.
Warum gab es überhaupt länderspezifische Unterschiede? Es gibt im Kern drei Gründe, warum sich ein Fahrzeug mit dem Länder-Code Japan von einem Fahrzeug für den europäischen Markt unterscheidet:
- Gesetzliche und normative Anforderungen: Gesetzgeber und Normen geben Anforderungen und Standards vor, die sich von denen in Deutschland teilweise unterscheiden. Beispielsweise brauchten Fahrzeuge in Japan bereits in den 1980er und 1990er Jahren eine Überprüfung der Abgastemperatur mit Warnlampe im Cockpit.
- Wetter und Klima: Viele Hersteller produzieren für viele Länder sog. „Heißlandausführungen“, die mit sehr hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit besser zurechtkommen. Man denke beispielsweise an Fahrzeuge, die tagein tagaus bei Stop-and-Go und 40 Grad Celsius durch die Rush-Hour in Tokio bewegt werden.
- Kultur und Nutzungsgewohnheiten: Im Detail unterscheiden sich auch die Kundenerwartungen an ein Fahrzeug zwischen Deutschland und Japan durchaus, und diesen Erwartungshaltungen möchte man jeweils bestmöglich gerecht werden. Das trivialste Beispiel dürfte die Sprache sein, aber die Unterschiede gehen tiefer; bis hin zu unterschiedlichen langen Hinterachsübersetzungen, wie wir nachher noch sehen werden.
Welche werksseitigen Unterschiede gab es zwischen einer deutschen und einer japanischen Version konkret?
Die Frage, welche werksseitigen Unterschiede es in den 1990er Jahren zwischen einem Fahrzeug japanischer und deutscher Spezifikation gab, lässt sich nicht allgemeingültig für alle Hersteller beantworten. Daher möchte ich anhand von drei konkreten Beispielfahrzeugen erläutern, worin sich die Modelle ab Werk unterschieden haben. Als Beispielfahrzeuge dienen ein Mercedes-Benz 560 SEL (W126), ein BMW 750iL (E32) und ein Jaguar Daimler Double Six (X300).
Und damit Vorhang auf für unsere drei Kandidaten!
Beispiel 1: Mercedes-Benz 560 SEL (W126)
Fahrzeuge von Mercedes-Benz waren in Japan von jeher sehr beliebt. Daher gibt es auch bis heute eine große Zahl klassischer Mercedes der 1980er und 1990er Jahre auf dem Markt, die ihren Weg – gut erhalten und mit niedrigen Kilometer-Ständen – von Japan zurück nach Deutschland finden. Dazu gehört auch dieser 1990er Mercedes 560 SEL mit dem SA-Code 498 von Mercedes („Japan-Ausführung“).
Was sind also die werkseitigen Unterschiede zwischen diesem Modell und einem 560 SEL deutscher Spezifikation?
- Das Automatikgetriebe hatte in Japan nicht – wie in Europa üblich – den Programmwahlschalter S/E („Standard“/“Eco“)
- Schriftzüge im Innenraum sind in japanischer (z.B. Automatikkulisse) oder englischer (z.B. Tempomat) Sprache anstelle deutscher Sprache
- Die Katalysatoren haben – zusätzlich zur Lambdasonde – noch einen Temperaturfühler am Katalysator, den es bei europäischen Ausführungen nicht gibt. Es handelt sich dabei um ein eigenständiges Warnsystem als Überhitzungsschutz für den Katalysator, das in Japan gesetzlich vorgeschrieben war.
- Im japanischen Kombiinstrument gibt es eine zusätzliche Warnlampe „EXH TEMP“ (Exhaust Temperature, Abgastemperatur), die rot leuchtet, wenn der Katalysator zu heiß wird. Auch diese Warnlampe gab es analog zum Temperaturfühler nur in Japan, nicht in Europa. Siehe auch u.s. Abbildung. Übrigens ist diese Warnlampe bei Mercedes der vielleicht einfachste Weg, einen Japan-Reimport zu erkennen (insofern sie nicht entfernt wurde).
- Die Radios, z.B. das oben im Cockpit abgebildete Becker Mexiko 2000, haben einen anderen UKW-Frequenzbereich. In Japan wird für den UKW-Rundfunk nämlich der Frequenzbereich 76 bis 90 MHz verwendet. Sie sind in Deutschland somit praktisch kaum von Nutzen. In der Liste der Sonderausstattungen dieses 560ers zeigt sich das mit dem SA-Code 758 („Radio Becker Mexico 2000 in Japan-Ausführung“).
- Der 560 SEL hatte in Deutschland (als einziges Modell der S-Klasse W126) breitere Reifen der Dimension 215/65 und deshalb vorne um 2 cm breiter herausgestellte Kotflügel. In Japan (sowie in den USA) hingegen hatte der 560 SEL Reifen der Dimension 205/65 und nicht die breiter herausgestellten vorderen Kotflügel (sondern dieselben Kotflügel wie alle anderen 126er) (Quelle: Tabellenbuch Personenwagen, Mercedes-Benz AG, 1991, S. 478).
- Die japanische Version hat nicht die in Deutschland beim 560 SEL serienmäßige Fanfare Zweiklang, bei der man mittels Schalter in der Mittelkonsole zwischen normaler Hupe für die Stadt und Fanfare für die Überlandfahrt wechseln konnte. Auf dem japanischen Markt wurde dieses Feature von Mercedes nicht angeboten.
- In Japan (sowie in den USA) hatte der 560 SEL eine länger übersetzte Hinterachse, drehte also bei gleicher Geschwindigkeit etwas niedriger. Der europäische 560er hatte eine Hinterachsübersetzung von 2,65 (und war damit kürzer übersetzt als 420er und 500er), der japanische 560er hingegen von 2,47 (Quelle: Tabellenbuch Personenwagen, Mercedes-Benz AG, 1991, S. 461). Es war damals übrigens nicht ungewöhnlich, dass Export-Spezifikationen andere Übersetzungen hatten. So wurde z.B. auch der 300 SE des W126 nach Frankreich mit einer längeren Übersetzung von 3,07 statt 3,46 geliefert (Quelle).
- Ein Blick in die SA-Codes dieses 560 SEL zeigt außerdem, dass mit der japanischen Spezifikation noch die SA-Codes 613 („Scheinwerfer Linksverkehr“) sowie 524 („Lack-Konservierung“) einhergingen. Mit letzterem wurde der Vorgang bezeichnet, dass die Fahrzeuge für den Schifftransport mit einer Schutzschicht aus Cosmolin-Wachs besprüht wurden.
Beispiel 2: BMW 750iL der Baureihe E32
Auch bei BMW gab es eine spezifische „Länderausführung Japan“ (erkennbar am BMW-Code „L807A = Ja“). Wer sich in den gängigen Ersatzteilkatalogen für den BMW 7er der Baureihe E32 tief einarbeitet, stößt auf eine Reihe alternativer Artikelnummern für diese Länderausführung. Diese Unterschiede scheinen mir technisch am markantesten zu sein:
- Genau wie der Mercedes hat auch der BMW in Japan die gesetzlich vorgeschriebenen Temperaturfühler am Katalysator, die es in Europa nicht gab. Dazu kommt, ebenfalls analog zum Mercedes, eine EXH TEMP Warnleuchte, die hier aber im Check Control System angesiedelt wurde. Infolge hatte die Japanausführung auch andere Abgasrohre. (Hier ein Link zum entsprechenden Auszug aus dem Ersatzteilkatalog.)
- Die Verbrauchsanzeige im Drehzahlmesser misst nicht wie in Deutschland l/100km, sondern km/l. Sie hat außerdem eine andere Skalierung und ist damit auch ein gutes „adhoc-Erkennungsmerkmal“ für einen BMW aus Japan (siehe auch nachfolgendes Foto).
- Der Bordcomputer hat eine englische Beschriftung der Tasten (siehe nachfolgendes Foto).
- BMW aus dieser Zeit hatten in Japan keine Nebelschlussleuchte, sondern nur Nebelscheinwerfer vorne. Deswegen hat der zugehörige Schalter rechts vom Kombiinstrument nur zwei Positionen, nicht drei wie in Europa (siehe nachfolgendes Foto).
- Der Tempomat hat ebenfalls eine englische Beschriftung, keine deutsche (ebenfalls auf dem Foto zu sehen).
- In Europa hatte der 750iL (sowie der 750i und alle E32 mit Niveauregulierung) einen größeren 102 Liter-Tank. In Japan wurde dieser nicht verbaut – auch mit Niveauregulierung blieb es bei einem 90 Liter-Tank. (Hier ein Link zum entsprechenden Auszug aus dem Ersatzteilkatalog.)
- Ab dem Jahrgang 1991 hatte der 750iL in Japan ein kürzer übersetztes Hinterachsdifferential als die europäische Version. Die Übersetzung betrug 3,64 für Japan anstelle 3,15 in Europa. (Hier ein Link zum entsprechenden Auszug aus dem Ersatzteilkatalog.)
- Die Riemenscheibe des Lüfterrads vor dem Motor hatte in Japan (sowie generell für die sog. „Heißlandausführung“) einen kleineren Durchmesser, nämlich 97mm anstelle 109mm in Europa. Damit läuft das Lüfterrad offenbar schneller und bewirkt eine größere Luftzufuhr. Auch die Viskokupplung hatte eine stärkere Ausführung. (Hier wieder ein Link zum entsprechenden Auszug aus dem Ersatzteilkatalog.)
- Nach dem Facelift hatte der 750iL in Europa vorne größere Bremsscheiben bekommen. Der Japanausführung war das jedoch nicht vergönnt, hier blieb es bei den kleineren Bremsschreiben. (Hier wieder ein Link.)
- Der Tankeinfüllstutzen unterscheidet sich: Europäische Fahrzeuge haben im Trichter eine Kunststoffklappe, die den Einfüllstutzen nach dem Herausziehen des Zapfventils verschliesst, die japanischen haben diese Klappe nicht (siehe Link zu einem 7er-Forum).
- Last not least: Auch BMW mussten mit seinen Radios natürlich den japanischen UKW-Frequenzbereich bedienen. In der Regel wurde der E32 daher nur mit einer Radiovorbereitung nach Japan geliefert und bekam vor Ort ein Radio, z.B. von Sony.
Hier gibt es außerdem noch einen interessanten Erfahrungsbericht von jemanden, der seit vielen Jahren in Japan lebt und dort einen BMW 750iL fährt.
Beispiel 3: Jaguar Daimler Double Six (X300)
Auch der Jaguar XJ6/XJ12 wurde natürlich in Japan verkauft und findet sich gelegentlich als Re-Import wieder in Europa auf dem Youngtimer-Markt. Japanische Re-Importe scheinen hier aber nicht so häufig zu sein wie bei BMW oder Mercedes, es finden sich jedenfalls weniger Informationen zu japanischen Reimporten im Netz. Einen Erfahrungsbericht über einen „japanischen Jaguar X300“ habe ich allerdings in einem deutschsprachigen Forum (Link sowie weiterer Link) doch gefunden.
Insgesamt lassen sich am Beispiel eines Jaguar Daimler Double Six der Baureihe X300 die folgenden werksseitigen Unterschiede zwischen einem japanischen und einem europäischen Modell festhalten:
- Fahrzeuge für den japanischen Markt hatten offenbar nicht den „Coachline“ Seitenstreifen.
- Der Kennzeichenausschnitt im Kofferraumdeckel war deutlich enger, basierend auf japanischen und amerikanischen Kennzeichenformaten, siehe Foto unten.
(Quelle: Jaguar Club Forum)
(Quelle: Jaguar Club Forum)
(Bildquelle: www.cars-dresden.de)
(Bildquelle: www.cars-dresden.de)
- Ein Daimler Double Six in japanischer Spezifikation hat eine Sekundärluftpumpe, die es bei europäischen Modellen nicht gegeben hat.
- Außerdem gibt es – genau wie bei Mercedes und BMW – zusätzliche Sensoren und ein Steuergerät zur Kontrolle der Abgastemperatur sowie auch eine „EXH TEMP“ Warnleuchte, die bei Überhitzung der Abgastemperatur aufleuchtet.
- Der Frequenzbereich des Radios ist beim X300 für die japanischen Bandbreite codiert und auch nicht umzustellen (interessant ist, dass offenbar später beim X308 die Frequenzbereiche der Jaguar-Radios von japanisch auf europäisch umstellbar waren).
- Die Funk-Fernbedienungen sind beim X300 speziell für den japanischen Markt produziert (und nicht mehr zu beschaffen). Sie hat engsprechend eine eigene Bestellnummer (LNA2610AA) und scheint gemäß Berichten in den Foren offenbar mit keiner anderen Jaguar-Fernbedienung auf der Welt kompatibel zu sein.
- Die Benzinverbrauchsanzeige im Bordcomputer zeigt ebenfalls km/Liter an, nicht Liter/ 100km.
Im folgenden Teil 3 zu Reimporten aus Japan geht es dann um die Frage, welche grundsätzlichen Vor- und Nachteile diese Fahrzeuge typischerweise haben (Link zum Teil 3).
Fazit
Youngtimer in japanischer Spezifikation unterscheiden sich im Detail durchaus von ihren europäischen Pendants. Die Unterschiede sind einerseits nicht weltbewegend, es sind aber andererseits je nach Hersteller und Modell andere Unterschiede. Die Beispiele haben gezeigt, dass darunter immer wieder auch technisch relevante Abweichungen sind. Wer mit einem japanischen Reimport liebäugelt, sollte sich deshalb im Vorfeld genau mit den landesspezifischen Unterschieden vertraut machen.
Welche Erfahrungen habt Ihr mit den Besonderheiten japanischer Modelle gemacht? Ich freue mich über Feedbacks oder Kommentare unterhalb dieses Beitrags!
Seit langem eine wirklich gute und vorallem Wahre Zusammenfassung der Unterschiede. Keine persönlichen Interpretationen. TOP!
Immerwährende eine Freude auf Ihrer Seite unterwegs zu sein!
Best regards
Carsten Benz