Auf die Probefahrt mit dem Siebener der neuen Modellreihe G70 war ich wirklich gespannt. Es ist bemerkenswert: Obwohl schon im April 2022 präsentiert und seit November 2022 in Produktion, ist er auf europäischen Straßen praktisch (noch) nicht existent. Ich jedenfalls habe (mit Ausnahme dieser Probefahrt) bis heute in Europa noch nie einen G70 auf der Straße angetroffen (und bin alleine in den letzten 10 Tagen mehr als 2.000 km Autobahn gefahren). Bei meinem Bangkok-Aufenthalt im Juli 2023 habe ich dagegen recht schnell einen auf der Straße angetroffen. Dazu kommt ein Design, das in der hiesigen Öffentlichkeit auf Widerstand stößt. Hat BMW etwa am Markt vorbei entwickelt?
Gedanken zur „strategischen Logik“ des Siebener
Wer die strategische Logik des neuen Siebeners verstehen möchte, sollte einen Blick auf die Verschiebung der Marktverhältnisse werfen. Noch 2010 war Deutschland größter BMW-Absatzmarkt (267.160 Fahrzeuge), gefolgt von den USA (266.580). China war deutlich dahinter (183.328).
Nur 12 Jahre später sieht dieses Bild völlig anders aus: 2022 ist China mit weitem Abstand der größte Markt geworden – über 33% des BMW-Umsatzes fallen nur in diesem Land an. Deutschland liegt bei unter 11%, weniger als ein Drittel von China. Dazu kommt, dass der chinesische Markt weiter wächst. Die USA liegen mit 15% übrigens auch weit hinter China.
(Am Rande: BMW ist auch in Summe massiv gewachsen. Der Umsatz hat sich in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt. Dieses Wachstum war wiederum Voraussetzung für den Erhalt der unternehmerischen Unabhängigkeit – wir sehen z.B. bei Jaguar, Renault, Fiat, Rover etc. deutlich, dass sich Automobilhersteller unterhalb einer kritischen Größe kaum eigenständig halten können.)
Kurzum: BMW ist wirtschaftlich darauf angewiesen, dass seine Premium-Modelle insbesondere in China erfolgreich sind!
Aus meiner Sicht hat diese Tatsache den neuen Siebener stärker geprägt als jeden anderen BMW zuvor. In Asien sind Luxusprodukte gefragt, die gut sichtbar einen Status transportieren. Das tut der G70 mehr als jeder vorherige Siebener. In Europa entwickeln sich die Verhältnisse dagegen anders: Wer in früheren Zeiten einen (dezenteren) Siebener fuhr, fühlt sich heute oftmals mit dem Fünfer gut bedient.
Gedanken zur Designsprache des G70
Das Design fällt besonders auf, weil gerade der BMW Siebener früher für besonders elegantes Design stand. Des öfteren hörte man beim E32 und seinem Nachfolger E38 den Spruch vom deutschen Jaguar, bei dem sich Technologie und Eleganz treffen. Das ist beim G70 offenkundig anders. Persönlich empfinde ich es als schade, dass BMW beim Siebener nicht mehr auf ästhetisch-elegante Designmerkmale gesetzt hat. Das Design mag dem Zeitgeist in China entsprechen. Mir wäre eine Linienführung in der eleganten Tradition seiner Vorgänger lieber gewesen.
In Punkto Design lohnt aber auch ein Blick auf den chinesischen Markt: Der Hauptwettbewerber aus China ist der Hongqi H9+, eine Luxuslimousine des staatlichen Autoherstellers FAW. Er wurde bereits im Jahr 2020 präsentiert und hat sich sehr erfolgreich entwickelt. Und während ich den Hongqi H9+ so betrachte, sieht der neue Siebener plötzlich gar nicht mehr so auffällig aus… Es ist eben alles relativ, und den G70 muss man auch aus der Perspektive seines größten Absatzmarktes sehen.
Der Asien-Fokus zeigt sich nicht nur im Design
Der Fokus auf Asien zeigt sich nicht nur in der ungewöhnlich massig dimensionierten Karosserie, sondern auch in der Verfügbarkeit der Motorvarianten. Wer beim Siebener gerne einen V8 oder überhaupt einen nicht-elektrischen Benziner hätte, wird damit nur in Asien und den USA bedient. Auf die Modelle 735i, 740i und 760i müssen wir in Europa leider verzichten (eine interessante Folgeerscheinung der EU-Emmissionspolitik).
Gegen einen Aufpreis von rund 12.000 Euro gibt es den G70 übrigens auch in einer „Two-Tone Lackierung“ (siehe Foto). Ebenfalls ein Feature, das kaum für den europäischen Markt entstanden sein dürfte…
Beim G70 wird nicht mehr zwischen normaler Karosserie und Langversion unterschieden, er ist nur noch in einer einheitlichen Länge von 5,391 m verfügbar – und damit über 10 cm länger als die Langversion des Vorgängers. Auch diese Entscheidung dürfte sich an Asien und den USA orientiert haben. Man trifft dort fast nur die Langversionen auf den Straßen an. In China gibt es sogar den Fünfer als Langversion.
Eindrücke von der Probefahrt
Vor dem Hintergrund aller dieser Veränderungen (deren Einführung jetzt etwas länger ausgefallen ist) war ich sehr gespannt, als ich – wie es der Zufall so wollte – vom X308 in diesen BMW 750e umsteigen durfte.
Erster Eindruck: Er wirkt in der Realität wie auf den Bildern vor allem von vorne massiv, wie eine Mischung aus SUV und Luxuslimousine. Modellen wie dem X5 und X7 ist es aber zu verdanken, dass der G70 in der Realität dann doch weniger auffällt, als es diese Bilder „befürchten“ lassen.
Am Steuer des BMW 750e, der 220 kW mittels Verbrennungsmotor und zusätzliche 140 kW mittels Elektromotor leistet, kann man sich auf Anhieb wohl fühlen. Er ist direkt als BMW erkennbar und ich bin überrascht, wie leicht, handlich und ungemein agil sich dieses Auto bewegen lässt. Solange man nicht gerade einen innerstädtischen Parkplatz sucht, ist die Größe am Steuer kaum präsent. Vermutlich nicht zuletzt ein Verdienst der intelligenten Luftfederung und der Hinterradlenkung.
Als weniger positiv empfinde ich, dass etliche Funktionen, für die es bis dato noch einen (physischen) Schalter gab, nun im Touchscreen integriert bzw. per Spracheingabe zu steuern sind – beispielsweise die Temperatureinstellung für den Innenraum, die Sitzheizung, die Sitzmassage. Ich fand die physischen Schalter praktischer. Auch die auf Knopfdruck vollelektrisch öffnenden und schließenden Türen haben mich nicht als stichhaltige Innovation überzeugt. Sobald die Sensoren eine Person in der Nähe erkennen, wird das Öffnen abgebrochen.
Insgesamt fährt der G70 beeindruckend gut. Ich bin mir sicher, noch nie ein Auto bewegt zu haben, dass Größe, Agilität und Technologie in dieser Form vereint.
Ohne Frage beeindruckend ist auch das Niveau an Digitalisierung, das mit dem G70 erreicht wurde. Hier ist ein Bild von der Tür hinten links. Ich gehe davon aus, dass alleine in diesem Türmodul mehr Software-Code läuft als im gesamten Jaguar X308!
Mein persönliches Fazit
Mein persönliches Fazit: Technisch ist BMW ein beeindruckender Paukenschlag gelungen. Der Siebener bietet ein enormes Maß an Luxus im Innenraum und fährt sich toll. An das Maß an Digitalisierung müsste ich mich erst noch gewöhnen. (Und es bleiben ein Zweifel, ob die vermeintlichen Innovationen immer auch ergonomische Verbesserungen sind). Optisch ist der G70 auch ein Paukenschlag, bei dem mir persönlich die ästhetische Eleganz viel zu kurz kommt. Schade finde ich auch, dass wesentliche Motorisierungsvarianten in Europa nicht mehr angeboten werden.
Die eigentliche Erkenntnis des neuen Siebeners ist für mich aber eine, die mit Design und Technologie nur indirekt zu tun hat. Wir haben lange darüber gesprochen, dass uns der chinesische Markt „eines Tages“ den Rang abläuft. Der G70 zeigt, dass dies heute der Fall ist. Wir sollten in Deutschland und Europa im Blick behalten, dass unsere Volkswirtschaft im direkten Wettbewerb mit Asien steht. Auch das geht mir während meiner Probefahrt mit dem G70 durch den Kopf…
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Und da ich mit einigen Zahlen zu BMW hantiert habe, sind hier noch die Quellenangaben dazu:
- Umsatz BMW 2022 nach Ländern: Statista
- Entwicklung BMW Umsatz 2000 bis 2022: Statista
- Fahrzeugproduktion BMW 2010: Klett Verlag
Was für ein groteskes Auto.
Absolut an unserem (europäischen) Markt vorbei entwickelt.
Was ist der Vorteil von diesen ganze Funktionen im Innenraum? Warum muss ich schon wieder vor einem riesigen Display sitzen?
Übrigens fahren diese Vehikel hier in der Region München relativ häufig, als Werkswagen.
An Peinlichkeit wirklich nicht zu überbieten, Gott sei dank sind solche Autos relativ schnell nach Ende der Produktionszeit wieder von den Straßen verschwunden.
ich hatte kürzlich die Gelegenheit mit Adrian van Hooydonk privat zu sprechen. Auf die hier erwähnte Problematik des 7er angesprochen, sagte er mir, dass ihm persönlich auch nicht alles gefällt, aber dieses Design ist gründlich und weltweit getestet worden und mehrheitlich für so gut befunden worden, dass der 7er jetzt so aussieht. BMW möchte auch keine extra Modelle für zB. europäische Märkte mehr bauen. So liefe das heutzutage nun mal.
einfach entsetzlich!!!!
Über Geschmack lässt sich bekanntlich ja nicht streiten – aber ich persönlich finde diesen BMW furchtbar und würde ihn nicht haben wollen. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren ja abgezeichnet. Für mich ist ein Auto eben mehr als nur ein Fortbewegungsmittel und auch mehr als ein Statussymbol. Mir gefallen diese ganzen neuen, futuristischen Fahrzeuge nicht mehr. Das Fahrgefühl, der Geruch oder der Sound eines edlen V8, das Interieur – all das können mir diese neuen Autos nicht bieten. Es muss auch kein V8 sein, es gibt auch tolle Sechszylinder – aber die sterben ja leider aus.
Laut aktuellen Presseberichten, wurde genau dieser Monster-BMW gerade von 3 grünen NRW-Landesministern bestellt. Automobile Demut wird halt nur von der Bevölkerung gefordert.
Style is the answer to everything.
Not many have style. Not many can keep style
I have seen dogs with more style than men
Although not many dogs have style.
(Charles Bukowski).
Was ich sagen möchte: Bevor ich mir diesen Ausbund an Stillosigkeit bestellen würde, greife ich zur S-Klasse des Wettbewerbs oder für einen Bruchteil des Kaufpreises zu einem vor-X351-Jaguar bzw. meinetwegen noch einem Quattroporte. Da bin ich auch nicht verhandlungsbereit. Sowas tut man(n) nicht. Der E65 aus der Chris Bangle-Ära war ja schon schlimm, aber gegen dieses Ding eher eine Schönheit.
Warum muss Mercedes eigentlich nicht jeden Unsinn mitmachen?